Ratgeber: aerobe, individuelle anaerobe, anaerobe Schwelle?

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Copyright: Herbert Steffny

Verwirrung um Rot/Grün oder aerob-anaerober Schwellensalat?
aerobe, anaerobe und individuelle anaerobe Schwelle?

Frage von E.T. aus Trier:

Hallo Herbert Steffny und Dok. Dimeo,

Ich verfolge begeistert ihr Forum und die
Bücher von Ihnen sind zu dem Standard-Geschenk an (Sport-)Freunde geworden. Letztlich stelle ich mir immer wieder folgende Frage, die dann doch unbeantwortet bleibt. Sie schreiben, dass maximale Marathontempo läge bei etwa 85-87% der max HF, also etwas unterhalb der IANS, die sie bei etwa 90% von max HF sehen.

Meine Frage hierzu:
1.)
Wie teile ich mir mein Marathon-Rennen ein? Bei mir und wohl auch bei vielen anderen liegt das Phänomen vor, dass die HF stetig ansteigt und zwar bis etwa km30-km35 und dann auf einem hohen Niveau verharrt. Zu welchem Zeitpunkt sollte denn die 85%-87% max HF angestrebt werden? "Theoretisch" könnte man ja aus alten bekannten Rennen den Verlauf rückrechnen. Oder sag' ich gleich besser: gelaufen wird nach Leistung (also Zeit/km) und der Pulsmesser bleibt im Wettkampf zu Hause?

2.)
Sie geben die IANS mit etwa 90% der HF max an. Bei mir liegt die IANS nun bereits seit Jahren (4 Leistungsdiagnosen im Feldtest) bei 157, bei einer HF max von 185; das entspricht also etwa 85%. Ich gehe davon aus, dass sie dann das maximale Marathontempo dann auch bei etwa 80-82% HF max sehen, oder?

Interessanterweise haben sich bei den vier Leistungsdiagnosen aber kaum die HF-Werte an der Schwelle bzw. den Übergängen RECOM, GA1, GA2, WSA geändert. Bis auf 1 HF-Schlag blieben die Werte gleich, so dass ich mir die neuen LD hätte sparen können. Was sich änderte war (zum Glück) erheblich die Leistungen an den Schwellengrenzen. Die neuen LD dienten also nur zum Vergleich. Interessanterweise gilt dies exakt auch für die Leistungsdiagnosen mit dem Rennrad. Auch dort nur Änderungen der Leistung, sowie der Laktatkonzentrationen, die insgesamt nach unten ging. Die Schwellen blieben aber HF-konstant.

Nun ja; da interessiert mich wirklich; Leistungsdiagnosebezogen, die Endzeit- bzw. Laufzeitprognosen.
Einige Software-Hersteller haben ja Modelle entwickelt; ihre Meinung zu den Modellen würde der Leserschaft sicher weiterhelfen.

Vielen Dank und beste Grüße!



Antwort von Herbert Steffny:

Hallo Herr T.,

vieles von Ihren Fragen zur Herzfrequenzmessung in Training und Wettkampf ist in der Rubrik "Trainingssteuerung" in meinem
Online Ratgeber schon angesprochen:

Ein grundsätzliches Mißverständnis (für dass Sie weniger als die Sportmediziner können, die es dem Sportler für die Praxis nicht immer leicht machen und immer nach eigenen Standards forschen...) ist aber folgendes:

Ich schreibe in meine  Büchern
nicht, dass die IAS bei 90 Prozent vom Maximalpuls ist, sondern, dass die AS ungefähr bei diesem Wert liegt.... Verwirrung? Kein Wunder....

Die IANS (oder IAS = "individuelle anaerobe Schwelle") ist nicht gleich der AS (= "anaerobe Schwelle"). Und dann gibt es noch die "aerobe Schwelle". Die Verfahren zur Ermittlung der Schwellen sind dummerweise je nach Institut sogar noch verschieden.

  • Die einfachsten Verfahren setzen die anaerobe Schwelle mit einem Laktatwert von 4 mmol Laktat fest. Ist die zugehörige Geschwindigkeit bzw. Herzfrequenz höher, ist man beim Training im "roten" oder anaeroben Bereich, bleibt man darunter ist alles im "grünen" oder aeroben Bereich. Wichtig zum Verständnis: auch im "roten Bereich" läuft die aerobe Energiegewinnung weiter ab (aus Kohlenhydraten, aber kaum oder nicht aus Fetten), die anaerobe Energiegewinnung ist sozusagen noch dazugeschaltet. Für die Praxis ist das "4mmol Schwellenkonzept" zunächst nicht schlecht, denn viele Läufer weichen bei Ihrem Training sehr weit von richtigen Vorgaben ab. Dagegen ist die Ungenauigkeit der "4-mmol-Schwelle" für die Praxis oft weniger erheblich. Aber es geht zwar deutlich aufwändiger, aber vielleicht individualisiert noch etwas genauer:

  • daher ermitteln andere Institute die sogenannte Individuelle anaerobe Schwelle, indem auf das sogenannte Basislaktat (niedrigster Laktatwert der Belastungsserie in der Laktatkurve = "aerobe Schwelle") 1,5 mmol Laktat addiert wird, ein anderes Mal wird die IAS auch nach den Erholungslaktatwerten nach der Belastung bestimmt, indem eine Tangente an die Belastungs-Laktatkurve gelegt wird. Diese Verfahren werden beispielsweise in dem neuen Buch "Marathontraining für Frauen" ausführlich ab S.37 dargestellt. Das ist für den Laien natürlich nicht immer ganz leicht nachvollziehbar, hat aber vereinfacht gesagt etwa folgende Konsequenz: Die Laktatwerte der IAS liegen etwa bei 3 bis 3,5 und die der AS eher bei 4 mmol/l Laktat also etwas höher.

  • Die aerobe Schwelle liegt etwa bei 1,5 bis 2 Laktat und entspricht dem ruhigen Dauerlauftempo, wo übrigens auch der Fettstoffwechsel maximal aktiviert wird (optimale Intensität für Grundlagenausdauer!)

Sinnvoll sind meines Erachtens aber auch Laktatmessungen nach (während) längerer 10 (bis 30) minütigen Feldtests. Man läuft also länger unter wirklich echten Wettkampfbedingungen (nicht auf dem künstlichen Laufband) auf einer flachen und vermessenen Strecke (Wendepunkt- oder Rundkurs, Stadion) konstant nach Geschwindigkeit und/oder Herzfrequenz und mißt danach (eventuell zwischendurch schon bei längeren Tests) den zugehörigen Laktatwert. Diese aufwändiger zu messende und witterungsabhängige längere Belastung simuliert auf jeden Fall viel eher die Wettkampfsituation. Außerdem zeigt sich, bei mehreren Messungen während eines längeren 30-minütigen Testlaufs (z.B. in 10-minütigen Abständen), ob sich der Laktatwert eher konstant hält (Belastung unterhalb oder an der anaeroben Schwelle) oder zeitweilig weiter ansteigt (dann wäre Belastung oberhalb der anaeroben Schwelle), weil die Laktateleminierung (Abbau von Laktat) bei dieser Geschwindigkeit mit der Entstehung nicht mehr Schritt halten kann. Grundsätzlich vertrete ich als Trainer und Wissenschaftler für die Praxis (auf die es letztlich zielorientiert aber ankommt) die Meinung, dass ein Laktattest (auch angesichts der vielen möglichen Fehlerquellen) immer nur ein Bein sein kann, auf dem Trainingsangaben oder Wettkampfprognosen beruhen. Alle Methoden...

  • Laktatmessung, bzw Leistungsdiagnostik (für Läufer beim Laufen ermitteln, nicht auf dem Fahrradergometer!),
  • Herzfrequenz-Vorgaben (nach Leistungsdiagnostik oder Maximalpulstest (nicht Lebensalterformeln!)),
  • Trainingsresultate (Trainingstagebuch, normierte Trainingstests, Erholungspulswerte usw.),
  • Wettkampfergebnisse (als Aufbaurennen, aber auch Test!)
  • und auch ...hört, hört ....das beim Fortgeschrittenen langfristig erworbene Körpergefühl (was sagen die Muskeln, morgendlicher Ruhepuls usw.),

...sollten vom mündigen Athleten immer parallel angewendet werden. Die beste Methode bleibt für mich als Trainer nach wie vor die Wettkampfmethode. Auch diese bergen Fehlermöglichkeiten wie Beeinflussung durch Wetter, Streckenprofil oder Taktik, aber mit Erfahrung kann man diese Einflüsse sehr gut verrechnen. Letztlich ist der Wettkampf der beste Test für einen Wettkampf! Wie man aus Wettkampfresulaten vollkommen ohne Leistungsdiagnostik auf Trainingsgeschwindigkeiten oder mögliche Wettkampfresultate hochrechnet, schildere ich ausführlich in meinen Büchern oder bestimme ich in meinen Seminaren.

So und nach diesem Ausflug sind wir auch der Lösung Ihres Problemes näher gekommen: Die Herzfrequenz der AS liegt etwa bei 90 Prozent des Maximalpulses, also anders als Sie oben schlussfolgerten: bei 90% der bei Ihnen offenbar ermittelten IAS. Der Puls an der IAS liegt folglich niedriger, eben bei 85 bis 87 Prozent, also unterhalb von 4 mmol/l Laktat. Das Tempo an der IAS und die zugehörige Herzfrequenz entsprechen also in etwa der maximal möglichen Marathonintensität.

Daß sich über lange Zeiträume das Lauftempo und weniger die ermittelte Herzfrequenz an diesen Schwellen verschiebt, ist richtig und normal. Auch das wird leider oft falsch verstanden. Viele Läufer glauben, sie müßten den Puls im Laufe des Trainings höher setzen. Wer sich verbessert (v.a. mehr Trainingsfleiß beim Langstreckenläufer, nicht schnelleres Tempo!) wird also bei gleichem Puls schneller laufen. Grund: Verbesserung der Kapillarisierung (=Durchblutung, das bedeutet mehr Sauerstoff, mehr Nährstoffe, schnellere Erholung usw.) und der Mitochondrienkapazität, ("Kraftwerke der Zelle", der Ort des oxidativen Energiestoffwechsels durch Fett- und Kohlenhydratverbrennung). Wenn die Trainingszonen also einmal bei einem guten Institut oder
Seminar ordentlich bestimmt worden sind, können Sie damit für einige Jahre arbeiten. Lediglich altersbedingt ist zu erwarten, dass die Pulszonen sich jährlich um rund einen Schlag nach unten bewegen.

Zum Abschluss zu Ihrer anderen Frage: Zu welchem Zeitpunkt man diese 85 bis 87 Prozent im Marathon erreichen sollte: Auf den ersten beiden Kilometern pendelt sich der Puls zwischen "Anfangsnervosität und Tempo finden" langsam ein. Insbesondere auf der zweiten Hälfte kann wetterbedingt (z.B. hohe Temperatur), zu warme Kleidung oder auch bei Dehydratation der Puls ansteigen, dagegen bei zu schnellem Beginn und dem logischerweise daraus resultierenden Einbruch sogar absacken. Die pulskontrollierte Wettkampfsteuerung ist also mehr dazu da, von Beginn an ein Überziehen zu verhindern. Ein Profi läuft in der Regel gleichmäßig nach Zwischenzeiten, die vorher aus realistischen Tests (Wettkämpfen) auf eine wirklich mögliche Endzeit berechnet wurden. Der Pulsmesser sollte aber auf schwierigen Strecken (Höhenprofil, bei Hitze, im höheren Bergland) nicht zuhause bleiben, denn hier ist es nicht mehr so einfach nach Zwischenzeiten zu laufen wie bei einem flachen Citykurs und kühler Witterung. Näheres dazu und zur Taktik steht ausführlich in meinen
Büchern.

Und nun hoffe ich dass Sie ein bisschen bewußter weiter erfolgreich Marathon laufen können ;-))


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